Unser Gesundheitssystem oder: Der „Einäugige“ unter den Blinden.

Dies ist eine Art Tagebuch der Ereignisse und der Odyssee um meine Handgelenksverletzung, die ich mir am 10.03.2019 zuzog.

Ich habe in der Zeit seit dem 10.03. weniger geschrieben, weil mit dem kaputten Flügel alles eben ein wenig länger dauert.
Dieser Beitrag wird noch aktuell ergänzt (letzte Aktualisierung 24.09.)!

Aber ich spule mal zurück.


Der Unfall –  Tag 0

Bild von fbenedict auf Pixabay

Am 10.03.2019 (ein Sonntag) verletze ich mein rechtes Handgelenk. Man denkt immer noch 20 zu sein und „…hebt mal eben das eBike auf den Fahrradträger am Auto.“ Ein stechender Schmerz im rechten Handgelenk erklärt mir mein wahres Alter und ich lasse das Bike fallen. Bike soweit o.k. – Handgelenk weniger.


Ab zum Arzt – Tag 1

So begebe ich mich am folgenden Tag zum Hausarzt – der hat aber Urlaub, also zur Vertretung. Hier war ich vor meinem Umzug auch Patient und man schaute sich das Handgelenk (fast unmittelbar nach meinem Eintreffen!) an. Etwas verfärbt, gebrochen scheint nichts zu sein – ich solle das mal für ein, zwei Tage beobachten und bei Bedarf nochmals erscheinen. Eine solche Verletzung kommt immer ungelegen, aber ich hatte tatsächlich unverrückbare Termine, die eine tiefere Diagnose an diesem Tag nicht zuließen. Ich verlasse die Praxis also mit ein bisschen Salbe und einem Verband.

Eine Besserung stellte sich nicht ein, also bin ich 2 Tage später wieder bei der ärztlichen Vertretung meines Hausarztes. Man schaut sich das Ganze nochmals genauer an, jetzt soll ich zum Orthopäden, denn es müsse geröntgt werden. Klingt plausibel. Überweisung in der Hand verlasse ich die Praxis.


Der erste Orthopäde und der Griff ins Klo – Tag 3

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Nun versuche ich, den Orthopäden zu erreichen, der mir schon in der Vergangenheit bei meinen Kniebeschwerden mittels Behandlung und Akupunktur toll geholfen hat. Nach mehreren Versuchen (über einen Zeitraum von 20 Minuten!) geht tatsächlich jemand an das Telefon. Man erklärt mir, dass mein mich damals behandelnder Arzt nicht mehr in der Praxis arbeite und man mir einen Termin in 6 Wochen zusagen könne. Ich teile nun mit, dass ich wirklich unter akuten Schmerzen leide, erhalte aber keine Antwort – MAN HAT AUFGELEGT! Ich versuche zurückzurufen – vergeblich, denn hier nimmt nun gar keiner mehr das Gespräch entgegen. Puls 200.

Nun versuche ich (IRGENDEINE!) orthopädische Praxis zu erreichen und komme auf die Bemerkung des Vertretungsarztes zu einer Praxis, in der ich schon zuvor von einem nicht zimperlichen – aber höchst kompetenten – Chirurg behandelt wurde. Leider ist der aber verstorben und sein Vertreter innerhalb der Praxis hat das Geschäftliche nun übernommen. Dies liegt schon einige Jahre zurück und ich wundere mich, warum hier immer noch die Schilder und der Briefkopf des verstorbenen Arztes benutzt werden – aber ich muss ja nicht alles verstehen.
Dort angekommen (Durchgangsarzt) setze ich mich in das jenseits des Anschlags gefüllte Wartezimmer. Die Abarbeitung geschieht überraschend zügig, nach gut 30 Minuten bin ich schon mal in einer Art Behandlungsraum – ähnlich einer Notfallaufnahme im Krankenhaus, mit Gardinen zur Abtrennung.

Der Arzt erscheint, ich erkläre mein Anliegen und er untersucht das Handgelenk. Röntgen also. Auch dort ist die Wartezeit überschaubar – ich bekomme die schwere Schürze und das Gelenk wird durchleuchtet.
Auf dem Bild könne man nichts erkennen, denn der betroffene Teil sei in einer „dunklen“ Zone, die ein Röntgenbild nicht genau genug erfassen könne. Das ginge erst mit einem MRT, ich solle in 3 Tagen nochmals erscheinen. So wird mir die Pranke mit ein wenig Creme und einem Verband verpackt. „Sollten Sie stillhalten„, murmelt der Arzt als er den Raum verlässt.


Tag 6

3 Tage später erscheine ich erneut (wie üblich keine Parkplätze in der Nähe) und sitze erneut im Behandlungsraum. Der Arzt erscheint, drückt an zwei Stellen des Gelenks und gestikuliert zu seiner Helferin das Handgelenk erneut zu verpacken, ich solle „mal einen MRT Termin machen„. Ich hinterfrage nun den Sinn des lockeren Verbandes und des angeordneten „Stillhaltens“. Wie soll das nachts funktionieren? „Ich kann Ihnen auch einen Gips verpassen„. Nun, ich wollte nicht krank geschrieben werden und ein Gips hätte mich vollständig immobilisiert. „Wieso keine Schiene (Orthese)?“ Hier erklärt der Arzt: „Ich bewillige keine 200 Euro für eine Schiene, von der ich nicht weiss, ob sie nach dem MRT noch gebraucht wird.“ Klingt erstmal logisch. „Sie können sich aber gerne auf eigene Kosten so’n Ding vom ALDI oder LIDL für kleines Geld holen“. Ach so, eine gute Idee, aber nicht über die Krankenkasse. Ich habe eine weitere Überweisung.

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Einen MRT Termin zu bekommen sollte sich als eine ganz besondere Herausforderung herausstellen. Nach etlichen, entnervenden Telefonaten (geprägt durch ähnliches Telefonverhalten wie bei meinem Orthopäden) steht fest: 5 Wochen wird es dauern. 5 Wochen nicht zu wissen, was hier kaputt ist – 5 weitere Wochen mit Schmerzen.
Voll toll.

Zumindest – so denke ich mir, sollte man das Handgelenk jetzt besser ruhig stellen – da bietet sich die Orthese an. Nach Recherche meinerseits kostet sowas um die € 50 und kommt sonst auch gar nicht aus dem Budget des Arztes. Ich könnte immer noch ein wenig Sport machen, duschen, könnte das Ding auch zum Autofahren temporär abnehmen, würde nicht krankgeschrieben – hätte auch sonst weniger Stress und müsste nicht alle 3 Tage auf Parkplatzsuche zum Orthopäden, um dort auf ein wenig Voltaren und einen frischen Verband warten zu müssen. Eigentlich selbsterklärend und eine Win-Win-Win-Win-Win-Win Situation. Also zurück zum Orthopäden.


Tag 7

Ich stehe im Empfang neben anderen Patienten umgeben vom Praxisteam. Ich erkläre einer der Damen, wie lange ich auf den MRT warten müsse und dass hier eine Orthese sicherlich Sinn machen würde. 5 Wochen Schmerzlinderung. Der gute Doktor hat das wohl im Nebenraum mitbekommen, verlässt den Raum, wandert zügig an mir vorbei und meint, „…ich gebe keine mehrere Hundert Euro für eine Orthese aus. Bei mir gibt es Gips.

Der verbale Schlagabtausch

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Nun, er wählt also den offenen Schlagabtausch vor Kundschaft und Mitarbeitern – kann er haben. „Ich weiss nicht, wo sie diesen Blödsinn von mehreren Hundert Euros hernehmen – eine Orthese kostet um die 50 Euro und kommt nicht einmal aus Ihrem Budget!
Er: „Ob 50 oder 100 Euro ist mir egal, bei mir bekommen Sie Gips.
Ich: „Dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sich unsere Wege trennen. Ich bekomme von Ihnen jetzt den Befund und gehe zu einem Arzt, der es hinbekommt. Alles Gute – auch beruflich.
Stille und Starre. Alle (Patienten und Praxisteam) schauen nun wie die Küken wenn’s blitzt. „Welcher Teil hiervon ist noch unklar?„, frage ich provokant in die Runde. Nun bewegt sich eine der Assistentinnen und stellt den Befund aus. Der Arzt sitzt verschanzt hinter einem Computerbildschirm, meidet jeden Blickkontakt und unterschreibt kommentarlos den Befund.

Der wird mir ausgehändigt und ich verlasse den Ort des Grauens und begebe mich in die Praxis meiner – nun zurückgekehrten – Hausärztin. Die schüttelt angesichts meiner Schilderungen den Kopf und gibt mir ein Rezept für eine Orthese. Beraten lassen, gekauft, angelegt, passt.

Und da waren Sie wieder, meine drei Probleme. Keinen Orthopäden, Schmerzen und keine Ahnung wie es weiter gehen soll.Frei nach Otto Waalkes

Der Tip – Tag 25

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Am Nachmittag des Tages habe ich noch einen Zahnarzttermin. Dr. Wahl erkundigt sich ob meiner lädierten Pfote und empfiehlt einen befreundeten Orthopäden – leider 25 km entfernt. Aber gut, ich kann den Termin tatsächlich online machen und in der gleichen Woche. So erscheine ich dort zum Termin – man ist sichtlich etwas pikiert, dass man sich auf Nachfrage über die Eskapaden eines „Kollegen“ kritisch äußert aber so richtig verstehen kann man das auch nicht. Ich bekomme dort eine erneute Röntgung des Gelenks und ein „…dann warten wir mal auf den MRT„.


Ab in die Röhre – Tag 53

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Der MRT Termin. Hier war ich schon mal wegen meines Knies, also war der Ort zumindest schon einmal bekannt. Ich bekomme einen Zugang gesetzt, denn das Ganze findet unter Nutzung eines Kontrastmittels statt. Ich entledige mich den Schuhen, meiner Hose und darf auf den Tisch vor der Röhre. Hier nehme ich nun eine Position ein, die komplizierter nicht sein kann. Auf dem Bauch, linker Arm eng an der linken Seite nach hinten, rechter Arm nach oben mit Gelenk über Kopf, fixiert in einer Art Zangenkiste. Der Kopf 90 Grad nach rechts angewinkelt vor dem Arm. „Kann bis zu 30 Minuten dauern„, meint die mitleidslose Helferin in einem sehr emotionslosen Ton. Ab in die Röhre. Ich zähle stumm vor mich hin. Die Zeit erscheint endlos.

Irgendwann ist dann Ruhe in der Röhre und ich werde wieder herausgefahren. „Sie können jetzt wieder aufstehen.“ Eine klare Unterstellung. Nein, kann ich nicht. Mein Körper hört den Befehl, reagiert aber nur mit Widerwillen. Mein Kopf geht nur unter Protest in die Ausgangsposition zurück, mein rechter Arm schläft noch tief und fest. Sowas braucht keiner. „Sie müssen heute noch Flüssigkeit aufnehmen, damit das Kontrastmittel den Körper wieder verlässt.“ Ich: „und wie – durch den Zugang?“ Das erntet Augenrollen aber keinen weiteren Kommentar. Bei der Anmeldung erhalte ich dann meine DVD und gebe nochmals den freundlichen Hinweis, dass der Bericht bitte an den „neuen“ Orthopäden zu senden ist.


Was nun? (Die Erste) – Tag 57

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Termin eine Woche später bei meinem Orthopäden. Ich bin vorort – man sucht nach dem Bericht. Vergebens, denn der ist noch nicht da. Auf Anruf in der Radiologie des Krankenhauses ist man hörbar genervt, „…was wollen Sie denn jetzt, der MRT ist ja erst 4 Tage her – da muss der Patient schon Geduld haben.“ 50 km Fahrt für lau. Ich mache schon mal einen Termin für die Folgewoche und erhalte von meinem Orthopäden noch den Tip, mich schon einmal um einen Chirurgen Termin zu kümmern: „Bitte aber nicht im Bergmannsheil in Bochum, da sind Sie besser in den Unikliniken Duisburg oder Essen aufgehoben. Handgelenke sind schwierig.

Also auch hier wieder am Telefon. In Duisburg: „Sehr gerne würden wir uns das ansehen, Herr Manns. Passt Ihnen der 4. Juli?“ In 6 Wochen? Ich frage, „…o.k., welches Jahr?„. „Dieses Jahr natürlich…„, meint die freundliche Stimme am anderen Ende, die meinen sarkastischen Unterton gekonnt ignoriert. Der Termin wird notiert. Sodann versuche ich mein Glück in Essen. Da ginge es schon in der Folgewoche – leider habe ich da aber die nächste Besprechung mit dem Orthopäden. „Nächste Woche geht nicht, da ist der Dr. auf einer Tagung – also erst am 02. Juni.“ Gut – zumindest einen Monat früher als in Duisburg.


Was nun? (Die Zweite) – Tag 64

Wieder Termin beim Orthopäden. Diesmal mit Radiologiebefund!
Dort erfahre ich wie folgt:

  • Kompletter Abriss beider ulnarer Ansätze des TFCC vom Processus styloideus ulnae, korrespondierend zu einer Atzei Klasse 2 TFCC-Verletzung
  • Riss des Lig. ulnotriquetrum…
  • Partialriss des Meniskushomologue im proximalen Abschnitt
  • Distorsion des Lig. radioulnare dorsale und palmare, Partialriss vor allem palmarseits anzunehmen
  • Partialriss des palmaren Bündels des SL-Bandes…

Ganze Arbeit also, Herr Manns!
Nicht, dass ich ansatzweise das ärztliche Fachchinesisch verstehe, aber man gibt mir zu verstehen, dass ich hier „Geduld mitbringen muss„. Wieviel Geduld hänge von der Chirurgenentscheidung ab.
Also in 2 Wochen.


Die Sache mit der Versicherung (Teil 1) – Tag 74

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Ich besitze eine Unfallversicherung bei der ARAG. Seit mehr als 12 Jahren. Der Umfang der Versicherung ist einem nach dieser Zeit nicht mehr präsent, aber man hat ja jahrelang gutes Geld bezahlt und erhofft sich nun auch Leistung. Versicherungen nennen Unfälle „Ereignisse“. Und ob ein Ereignis abgedeckt ist, steht in den Bedingungen, die man mit dem Versicherungsabschluss ausgehändigt bekommt. Ich habe die Versicherungsbedingungen anno 2007 im entsprechenden Ordner im Schrank, bemühe aber die aktuelle Version von der ARAG Website.

Als Unfall gilt, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden.ARAG Unfall-Schutz Versicherungsbedingungen

O.K. – das passt lt. MRT und Unfallhergang. Ein Telefonat mit der ARAG hat mir das ja auch schon in der vergangenen Woche bestätigt. Nun gilt es eine „Unfallanzeige für die private Unfallversicherung“ auszufüllen. Diese wurde mir zugesandt – und die fülle ich heute aus. Ein Bericht des vertretenden Hausarztes als Erstversorger muss anhängig sein – da ich beruflich in den nächsten Tagen unterwegs sein werde, tüte ich das Berichtsformular, ein kurzes Anschreiben mit Bitte zur zeitnahen Ausfüllung und einen frankierten Umschlag ein. Diesen bringt Felix zur Praxis. Was ich nicht wusste – der mich untersuchende Arzt dort war im Urlaub. Obgleich ich alle meine Kontaktdaten im Anschreiben hinterlegt hatte, blieb das Ganze einfach unbearbeitet liegen. Das konnte dann erst später auf Nachfrage und nach Aufforderung meinerseits durch die Praxisleitung korrigiert werden.


Uni-Klinikum Essen – Tag 78

Nun bin bin ich als Ruhrgebiet-Reisender ja einiges gewohnt, aber die Kombination an einem Montagmorgen von A40, Klinikum Baustelle / Parkhaus und Patientenaufnahme forderte schon einiges an Geduld:

  • A40: Drei Baustellen und zwei Unfälle, allesamt mit Stillstand
  • Klinikum: Fehlende Aussenparkplätze weil Baustelle, Einfahrt zum Parkhaus 23 Minuten
  • Aufnahme: 2 Mitarbeiter, 12 wartende Patienten – jeder ca. 5 Minuten

Termin um 10:15, ich fahre um 08:30 los. Sitze um 10:25 im Wartesaal.

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Ich werde binnen 20 Minuten aufgerufen und sitze im Behandlungsraum. Nebenan höre ich einen Arzt, der über sein Diktiergerät flüssiges Fachchinesisch aufnimmt. Dies ist ein „Gesprächstermin“ und ein paar Minuten später erscheint der Arzt. Dr. Kauther ist – subjektiv betrachtet – relativ jung, aber leitender Oberarzt und erhält von mir den Befund. Der sei aussergewöhnlich detailliert und auch die Aufnahmen übertreffen seine Erwartungen. Er erklärt mir im Detail die Aufnahmen – einiges kann ich nachvollziehen, aber längst nicht alle Details. Als würde ich ihm erklären, wie ein Wandlergetriebe funktioniert und warum seins nicht korrekt schaltet.

Es geht aber nicht um ein Wandlergetriebe, sondern um mein Handgelenk. Und seine ruhige Art vermittelt Vertrauen und er wird operieren.

Die gute Nachricht:

Athroskopie, Reparatur (Annähen des abgerissenen TFCC Ansatzes) – macht man hier (im Uni-Klinikum) als Tagesgeschäft. Alle anderen Schäden würden ohne Hilfe selbst verheilen.

Die schlechte Nachricht:

4 Wochen Gips Schulter bis Handgelenk, danach 4 Wochen Ellbogen bis Handgelenk, danach Reha (unbestimmt).

Im Anschluss zum Gespräch gibt’s noch ein EKG, Blut- und Speichelprobe und einen Termin mit dem Narkosearzt (am 17.06.).

OP Termin ist der 18.06.


Uni-Klinikum Essen, Narkosebesprechung – Tag 92

Ich bin dieses Mal zu früh da – viel zu früh. Die A40 war unerwartet frei von Staus und das Parkhaus markiert mit einem roten „besetzt“, ich finde dennoch ungewöhnlich schnell Einlass und einen Parkplatz auf Level 14. Aber man kann sich auf dem Unigelände sicher ein Stündchen beschäftigen.

Mein Zielort für die OP hört auf die etwas kryptische Buchstaben- / Zahlenkombination „OZ II, B1, UC3“ und bin nach einem kurzen Gespräch an der Info in der Nähe des Haupteingangs dort angekommen. Man ist beschäftigt, die Lautstärke ist heftig. Eine Schwester blickt mich an – ich stelle mich kurz vor: „Volker Manns, habe eine Handgelenks-OP morgen. Könnten Sie mir sagen, für wieviele Tage ich mich hier ungefähr aufhalten werde, damit ich entsprechend packen kann…?“ „Sorry, mein Röntgenblick erlaubt mir keine genaue Aussage – ein paar Unterhosen sollten Sie einpacken, eine Zahnbürste wäre auch nicht schlecht“, meint die Dame mit einer deutlich zu vernehmenden Prise Zynismus. Danke für’s Gespräch.

Ich ziehe mich zurück und besuche nun die Narkoseabteilung. Dort bin ich auch noch zu früh, werde aber darauf hingewiesen, dass ich mich unten sowieso nochmals anmelden und meine Akte mitbringen muss. Man weiss seit 14 Tagen, dass ich komme, und der Einarmige macht Botengänge??? O.K., ich füge mich und gehe den Gang. Ich fülle ein weiteres Formular aus – abweichend vom Standard bin ich Diabetiker, nehme entsprechende Medikation. Das Formular unterscheidet sich nicht wirklich von dem, was ich schon ausgefüllt mitgebracht habe, aber gut, nur kein Stress.

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Minuten später finde ich mich in einem kleinen Raum wieder – ein Notarzt (in entsprechender Kleidung) kommt herein. Zunächst wird mir erklärt, dass er jeden Moment wieder abgerufen werden kann – um dann das Gespräch natürlich abzubrechen – wir gehen jetzt aber den Fragebogen erneut durch. Ich beantworte also die gleichen Fragen nun zum 3. mal. Effizient ist irgendwie anders. Sein elektronischer Helfer meldet sich, er entschwindet mitten im Satz. Einige Minuten später kommt eine Narkoseärztin in den Raum, stellt sich vor und wir gehen den Fragebogen erneut durch. Sicher ist sicher. Danach bekomme ich „Optionen“ zur Narkose erklärt. Da ist die Rede von lokaler Anasthäsie, Schläuchen im Arm und ich dürfte dann dem Doktor Signale geben, um die Dosis anzupassen. Ähhhh – nein. Hammer auf Kopf und aufwachen danach. Ich hätte da ja wohl unbegründete Ängste, meint die Ärztin. „Kann schon sein. Ich hätte das aber gerne so.“ Ende des Gesprächs. Also bis morgen.


Uni-Klinikum Essen, erster stationärer Tag – Tag 93

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Es ist 05:00 – aufstehen. Felix holt mich um 06:00 ab – das sollte zeitlich reichen. Muss nüchtern bleiben, keine Diabetes Medikamente, mein Frühstück ist ein kleines Glas Wasser. Gepackt habe ich am Vorabend, wir machen uns pünktlich auf den Weg. Die A40 staufrei, der Verkehr staut sich am Parkhaus. Wir entscheiden, dass Felix mich an der Bushaltestelle absetzt – ich mache mich auf den Weg über das Gelände und stehe pünktlich an der Aufnahme der OZ II, B1, UC3. Die Besatzung hinter den PCs ist ähnlich – auf jeden Fall erkenne ich auch die Zynikerin wieder, die mich nun begrüßt. „Sie sind…?“ „Manns. Volker. Handgelenks-OP.“ „Ach ja, wir drucken schon mal die Aufkleber – warten Sie bitte noch einen Moment im Wartebereich vor der Station.“ 30 Minuten. 1 Stunde. Ich beobachte unterschiedliche Polizisten-Teams, welche die Station betreten und dann wieder verlassen. 2 Stunden.

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Nach sage und schreibe 2 1/2 Stunden mache ich meinem Unmut an der Aufnahme Luft und frage, ob man noch ganz gescheit ist, Leute für 06:30 zu bestellen und dann bis 09:00 irgendwo zu parken? „Wir hatten Notfälle. Ihr Bett ist aber schon auf dem Weg.“ Notfälle – das Totschlagargument. Ich habe große Lust Beweise einzufordern.

Endlich – im Zimmer. Zweibettidylle, neben mir ein junger Mann, der sich mir mit seiner Geschichte später anvertrauen wird – und vorweg: Sowas kann man einfach nicht erfinden. Egal, ich bekomme das Leichenhemd und eine Schwester hat ein geniales Gestell für meine schicken Strümpfe. Die Balla-Balla Tablette liegt auch schon parat – ich warte auf den „Startschuss“. 10:00. 11:00. 12:00. Mittagessen wird verabreicht. Nicht für mich – muss ja nüchtern sein für die OP! Es ist 13:30. Man hat „schlechte Nachrichten“. „Ihre OP fällt heute aus. Wir hatten Notfälle.“

Ich könnte kotzen – wenn ich denn etwas im Magen hätte. Ich entledige mich meiner OP-Kostümierung und möchte mal nachfragen, warum ein Termin nach 14 Tagen Vorlauf nicht stattfindet. Vor dem Zimmer finde ich einen Herrn im weißen Kittel. „Sie sind Arzt?“ „Ja.“ „Oberarzt?“ „Ja.“ „Können Sie mir erklären, warum ich heute nicht operiert worden bin?“ Er sei dafür jetzt nicht zuständig – aber der behandelnde (Ober-) Arzt würde sich sicher „nachher“ noch mal melden. Ich warte also. Erneut. Gegen 17:00 gibt es Futter. Ich war jetzt 16 Stunden ohne Essen – zwei Scheiben Brot, Margarine, Geflügelmortadella, einem 1/4 Liter Milch und Früchtetee mit Zucker (hatte ich erwähnt, dass ich Diabetiker bin?). Ein Festmahl.

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Gegen 18:00 erscheint eine Notärztin (erkennbar am Outfit) und will mir den Terminverzug erklären. Ich stoppe sie mitten im Satz: „Nichts persönlich gegen Sie, aber das erklärt mir Dr. Kauther. Wo ist der?“. „Kommt noch.“ „Danke.“ Wenige Minuten später erscheint Dr. Kauther. „Tut mir leid, dass das bei Ihnen heute nicht geklappt hat – wir hatten Notfälle.“ Da ich schon seit vielen Jahren Autohauswerkstätten in Sachen Werkstattauslastung – auch unter Berücksichtigung von historischen Daten zu „Walk-In“-Kunden – berate, darf ich hier feststellen, dass eine OP-Beplanung zu 100% oder mehr IMMER zu einem Problem mit Termin-Patienten führen wird, sobald ein „Notfall“ durch die Tür kommt. 100%ige Lösungen gibt es nicht, aber hier wird einfach nur schlecht geplant. Kein Zimmer, kein Bett, dafür aber schon um 06:30 da sein, um dann 7 Stunden später „schlechte Nachrichten“ zu bekommen. Herr Kauther hätte tatsächlich „noch Bock gehabt“, mich spät zu operieren, hier seien aber keine Narkoseteams verfügbar gewesen. Er erzählt mir noch was von OP Kosten im Zusammenhang mit Leerständen und wie defizitär eine Handgelenks-OP sei. Irgendwie nehme ich ihm das alles sogar ab. Ich soll nun morgen operiert werden. An 2. Stelle.

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Zur abendlichen Unterhaltung gehört mein 23 Jahre alter, türkischer Zimmernachbar. Der hält sich wenig im Zimmer auf – ist ständig irgendwie auf Achse. Als er mal länger anwesend ist und auch Zeuge der Unterredung mit meinem Oberarzt wird, erzählt er mir seine Geschichte. Ich gebe hier das wieder, was er mir erzählt hat – das ist so dermaßen schräg, das kann man so nicht wirklich erfinden. Die morgendlichen Polizeibesuche galten ihm. Er sei auf der Straße in Essen überfallen worden und wurde zur Notaufnahme des Klinikums gebracht. Dort habe man ihn recht gründlich untersucht und er wurde, – obwohl er starke Schmerzen hatte – von einem „Auszubildenden“ (seine Worte) mit ein paar Schmerztabletten und einer versorgten Platzwunde am Hinterkopf entlassen. Der Bericht beinhalte aber auch einen Befund über einen potentiellen Schaden an der Milz und einem Problem mit einem Lungenflügel und Bläschenbildung. Potentielle Lebensgefahr. Er wird in Essen als Fußgänger beim Überqueren einer roten Ampel von einer Polizeistreife aufgegriffen. Da er sich nicht ausweisen kann (Überfall, Papiere weg) wird er auf die Wache mitgenommen, um erkennungsdienstlich erfasst zu werden. Hier kann er jemanden beknien, das Klinikum zu kontaktieren – denn die könnten ja seine Geschichte bestätigen. Das Klinikum schickt nun einen KTW mit Blaulicht um ihn dort abzuholen. Nun liegt er neben mir im Zimmer zur weiteren „Beobachtung“. Passt vom Schema her zu meinen Erlebnissen der letzten Tage.

Gute Nacht.


Uni-Klinikum Essen, zweiter stationärer Tag – Tag 94

Es ist 07:30, same procedure as yesterday. Mit Ausnahme des Pflegers, der mir die Thrombosestrümpfe mangels Gestell mit gezielter Gewalt anlegt. Um 08:50 bekomme ich den Marschbefehl. Tablette genommen – ich warte auf dem Gang. Neben mir ein Mann auf der KTW Bahre in Begleitung zweier Notärzte – beide in OP Tracht mit Masken. „Wozu die Masken?“ „Krankenhauskeime“. Das beruhigt ungemein. Nur die Balla-Balla Pille verhindert, dass ich das näher hinterfrage. Kurz erscheint auch noch die Kellnerin mit Lappi und befragt mich nach meinen Essenswünschen der nächsten Tage. Man befördert mich zum OP. Dort erinnere ich mich an den Umzug auf den Tisch und an ein „…das fühlt sich jetzt etwas warm an…“. Filmriss.

Ich erwache in einem Saal mit vielen Betten und Schwestern und Ärzten. Bin noch ziemlich matschig in der Birne, höre die Aufforderung einer netten Schwester: „Herr Manns – sie müssen jetzt wieder selbst atmen – TIEF ATMEN!“. Mach ich doch gerne. Dann legt man mir noch so’n Nasenschlauch bis über die Ohren, bin aber noch im Halbschlaf. Dr. Kauther nun zu meiner Rechten – er erklärt mir, dass die OP richtig gut verlaufen sei und das er noch irgendeinen Schmerznerven profilaktisch gekappt hat. Ganz im Ernst, in dem Zustand hätte er mir die Amputation sämtlicher Gliedmaßen erklären können – whatever.

Irgendwie hat man mich zurück zum Zimmer gebracht und ich werde so gegen 16:15 wach. Ein Pfleger ist im Raum und ich bitte ihn, mir meine zuvor abgegebenen Wertsachen zu bringen. Das klappt flott. Handy, Ladegerät, Geldbeutel, Brille und meine Teilprothese (in etwas Zewa eingewickelt) erhalte ich zurück, nachdem ich mit Links sowas wie eine Unterschrift auf das Formular gekrackelt habe. Ich mache ein Selfie und sende es an Claudia. Ich lebe noch.

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Danach nicke ich nochmal ein, und finde kurze Zeit später links auf dem Nachtisch meine Habseligkeiten wieder – abzüglich der Zewa-Teilprothese. Häh? Der Arm rechts ist schwer und schmerzt und das Hirn sucht nach einer Erklärung. Wer könnte damit etwas anfangen? Ich schaue auf den Boden. In die Schublade. Negativ. Ich sehe eine frische Spuckschale und mir kommt ein Gedanke. Die werden doch nicht… Ich raffe mich auf, entferne den viel zu kurzen Sauerstoffschlauch von meinem Kopf und stelle mich auf. So ein bisschen das Gefühl eines frisch geborenen Fohlens – ich begebe mich auf den Weg zur Zimmermülltonne in der Nähe der Tür. Ich öffne den Schwenkdeckel und… tatsächlich. Jemand hat den Klumpen Zewa wie ein dreckiges Taschentuch entsorgt. Ich bemächtige mich meines Eigentums und kehre zurück ins Bett.

Dr. Kauther erscheint irgendwann später. Er erklärt mir die OP nochmals im Detail und das alles richtig gut geklappt hätte. Hört man gerne. „Wir sehen uns dann am 01.07. zum Fädenziehen. Dann gibt es auch was „leichteres“.“ Er gestikuliert zum Verband. „Falls Sie noch weitere Probleme mit dem Handgelenk haben sollten, dann habe ich noch ein paar Tricks im Köcher. Ich fahre aber jetzt erst einmal in den Urlaub. Bis zum 01.07. dann.“

Abendessen. Aber nicht für meiner einer. Hatte zuvor schon ein wenig Wasser probiert, welches mein Körper dann auch gleich wieder rückwärts entsorgt hat. Also knurrt der Magen weiter.

Ich begebe mich zur Toilette. Hier nehme ich dreckige Handtücher und ein in der Dusche hängenden Waschlappen wahr, die schon am Vortag dort hingen. Die Haken sind farblich markiert und hängen auf „Orange“ – also beim Nachbarn. Den frage ich: „Sind das deine?“ „Nein, mein Kram ist im Spind.“ Die Zynikerin kommt zeitgleich in den Raum. „Wissen Sie, ob die Handtücher…“ „Das sind Privatsachen im Bad. Die sind nicht von uns.“ „Und wieso…“ …und schon ist sie wieder weg.

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Ich mache mir auch Sorgen um meinen Blutzuckerwert. Ich habe seit 2 Tagen nun keine Medikation mehr erhalten und die Nahrungsaufnahme ist auch höchst überschaubar. Auf mehrfache Nachfrage kommt endlich jemand, um den Blutzucker zu messen. 170. Nicht optimal, aber keine Gefahr. Auch ist die Nadel des Zugangs auf dem Handrücken der linken Hand so verbogen, dass ich mich nachts im Schlaf richtig verletzen könnte. Der Pfleger entfernt den Zugang. Er möge mir bitte Ersatz organisieren – so zumindest mein Wunsch.

Katzenwäsche zur Nacht. Ich putze mir die Zähne – mit links. Ein Abenteuer.


Uni-Klinikum Essen, dritter stationärer Tag – Tag 95

Die Nacht verläuft mehr schlecht als recht. Ich schlafe üblicherweise auf meiner rechten Seite – das geht nur bedingt, weil dann der Unterarm gerade nach oben zeigt und irgendwann einschläft. Links und auf dem Rücken geht auch – alles also im Wechsel. Dazu die Schmerzen und das Gewicht der Gipsschiene – erholsamer Schlaf ist anders. Aber das ist der Verletzung und niemandem hier geschuldet.

Frühstück. Man hat dem Einarmigen praktischerweise das Brötchen aufgeschnitten und vorgeschmiert (eine Hälfte mit Marmelade), in der Teetasse befinden sich am Boden geschätzte 2 Esslöffel Zucker. Dazu noch ein Fruchtjoghurt. Danke. Der Diabetes freut sich.

Visite. Wie Starlight Express ohne Rollschuhe. 5 zusätzliche Personen im Raum mit den üblichen Rotkreuzfragen. Der Erste darf reden: „Wie geht es Ihnen?“ „Haben Sie schlafen können?“ Mich interessiert eigentlich nur, wann ich nach Hause darf. Dazu hat man dann aber keine richtige Antwort – heute jedenfalls nicht. Und dann sind sie auch schon wieder weg.

Es ist warm. SEHR warm. Wir lassen die Fenster auf Kippstellung (da sind Schlösser dran, damit die traurigeren Patienten keine unerwünschten Flugübungen machen), sichern die Zimmertüre in weit offenem Zustand mit der Mülltonne – so weht eine kleine Brise, ähnlich einem Hamster, der durch einen Strohhalm bläst. Im Gegenzug werden wir unfreiwillig Zeugen der Gespräche am Empfang, der direkt gegenüber liegt. Nicht immer lustig. Deshalb verbringe ich die morgendliche Zeit mit Spaziergängen bis zur „Airstream Pommesbude“ auf dem Vorplatz zum OZ II. Ich finde ein wenig Schatten, etwas Wind – eine willkommene Abkühlung.

Mittagessen. Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Kuchen zum Nachtisch. Alles lecker. Ich beginne, meinen Diabetes zu ignorieren. So wie jeder andere hier auch.

Claudia kommt wenig später an. Wir unterhalten uns natürlich über unsere Erlebnisse des Tages und sie meint besorgt: „Sehe zu, dass du so schnell wie möglich hier ‚rauskommst. Das kann nicht gesund sein.“ Prima Vorschlag – ich verspreche, mein Bestes zu tun.

Ich habe Langeweile und besorge mir eine Fernseh- / Internetkarte am Automaten im EG. Fernsehen klappt mit einer überschaubaren Bildqualität. Aber kein Männer-TV (DMAX).

Nach dem Abendessen erscheint ein Pfleger. Ich nenne ihn mal:

„Herr Manns! Sie bekommen noch ein Antibiotikum!“ Er hält eine Glasflasche mit Infusionsschlauch und blickt auf den am Bett befestigten Ständer. „Keine Halterung“, murmelt er und zieht eine Rolle Verbandklebeband mitsamt Kinderschere hervor. Er zwinkert mir zu: „Ich bin noch ziemlich neu und kenne noch nicht alle Verstecke hier…“ Im Geiste der 70er Macramé Bewegung strickt er nun eine Halterung und bringt die Flasche zum Schweben. Wenn’s im Uni Klinikum nicht klappen sollte – einfach mal bei der Phoenix Foundation anrufen. „Sie haben ja keinen Zugang!“ Ich erkläre den Grund für das fehlende Accessoire. „Ich suche mal jemandem, der einen neuen Zugang legen kann.“ Klingt ja erst mal initiativ und vielversprechend. „Suche“ und „jemand“ sind aber dabei schon 2 Variablen, deren Auflösung hier scheitern sollte.

Flasche adé.

Ich schaue Tatort. Gegen 21:30 passiert das, was passieren muss: Die Schwerkraft gewinnt gegen den Klebstoff des Bandes – die Flasche surrt zentimeternah an meinem Kopf vorbei und zerschellt mit einem lauten Knall am Boden. Die Glassplitter und Flüssigkeit verteilen sich im Zimmer. Der Tatort war eine Wiederholung – ich kannte also die Auflösung. So stehe ich auf, fummle mich in meine Badelatschen, versuche – schon aus Eigenschutzinteresse – mein Bestes die Scherben und Pfütze zu meiden und begebe mich auf den Weg zur Stationsanmeldung. Hier sitzt ein neuer Pfleger, den ich über das Geschehene informiere. Er begleitet mich ins Zimmer, hält mich dann mit dem Arm schützend zurück: „Warten Sie mal – nicht dass Sie da noch reintreten“. Hervorragend. Er stülpt sich einen Satz Gummihandschuhe über, greift sich ein, zwei Zewas und entfernt die großen Glasbrocken. „Heute Abend hier besser nicht barfuß laufen“, lauten starke Worte der Besorgnis, als er den Raum verlassen will. „Ich brauche immer noch einen neuen Zugang und sicherlich Ersatz für das Antibiotikum?“ „Ich suche mal jemandem, der einen neuen Zugang legen kann.“ Deja-vu. Es passiert – nichts. Mein Zimmernachbar erscheint nach seiner spätabendlichen Tour. Ich warne ihn vor dem im Zimmer verteilten Glas und frage mich, was denn hätte passieren können, wenn ich jetzt schon geschlafen hätte und er barfuß…
Ich nicke irgendwann nach 22:00 weg.

…und erwache durch den einfallenden Lichtschein, der durch das Öffnen der Zimmertür entsteht. Eine sehr junge, sehr hübsche Nachtschwester steht am Fußende meines Betts und erkundigt sich: „Brauchen Sie noch irgend etwas für die Nacht?“ „Ja, einen Arzt, der mir endlich einen Zugang legt und mir mein Antibiotikum verabreicht! Und vorsichtig hier, der volle Umfang des ersten Antibiotikums liegt Ihnen quasi zu Füßen.“ Ich muss meinem – der Situation geschuldeten – Zynismus Einhalt gebieten – die junge Dame ist ja nicht das Problem. „Ich hole mal Ihre Verordnung und schaue nach, ob und was Sie erhalten sollen.“

Postoperative Verordnung

Wenige Minuten später erscheint sie wieder – in den Händen ein Dokument, betitelt „Postoperatives Verordnungsblatt“. Darauf u.a. zu lesen: „Antibiose: 3 x 2g Elzogram / 24h“. Sie blickt verwundert, da ich davon entweder nicht die verschriebene Menge oder verspätet oder – im schlimmsten Fall – gar nichts erhalten habe. Ich bitte sie, den diensthabenen Arzt (später identifiziert als Dr. Husen) zu rufen, der mir das mal erklären soll. Der will sich aber mit der Situation gar nicht auseinandersetzen und zieht es vor, mir über die Schwester ausrichten zu lassen, „…dass sich meine Medikation geändert hat und ich während der OP ja wahrscheinlich schon genug Antibiotika erhalten hätte.“ Wahrscheinlich? Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Irgendein Assistenzarzt, der meiner Operation gar nicht beigewohnt hat, überstimmt aus einer Bequemlichkeit heraus, dass vom leitenden Oberarzt (zufällig dem stellvertretenden Direktor) verordnete Medikation nun überflüssig ist? Die Schwester blickt mittlerweile genauso staunend und ich danke ihr für den Versuch. Ich lichte noch schnell das Verordnungsblatt zur Beweissicherung via Handy ab und versuche zu schlafen.


Uni-Klinikum Essen, vierter stationärer Tag – Tag 96

Guten Morgen, Essen.
Frühstück. Zuckerbeladen. Wie gehabt.
Visite. Das Dream Team steht wieder vor mir. Band ist eingelegt – es ertönt der bekannte Tenor: „Wie geht es Ihnen?“ „Haben Sie schlafen können?“ Ich spreche die verpassten Infusionen an. Es klingt, als hätte man sich abgesprochen, denn fast synchron melden sich nun alle gleichzeitig aber zeitlich ein wenig versetzt recht lautstark zu Wort. Man überschlägt sich fast und faselt was von „Änderung der Medikation und Missverständnis.“ Es ist einfach eine Beleidigung meiner Intelligenz zu glauben, dass ich zu dämlich sei um dieses kollektive Versagen zu durchblicken. Ab jetzt interessiert eigentlich nur, wie schnell man mir meine Entlassungspapiere fertig stellt, damit ich diesen Zoo verlassen kann.

Nun will man den Unterarm inspizieren und entledigt sich des Verbandes. Erwartungsgemäß noch ziemlich geschwollen. Diese Gipspritsche – zum Abgewöhnen. Nun wird wieder verbunden. Ohne Stockinette, mit der alten Watte, etwas lieblos – und so präsentiert sich das auch. „Papiere machen wir Ihnen gleich fertig.“
Wenig später erscheint eine Dame, die sich wohl genau darum kümmert und fragt mich
nach der Krankschreibung. Die habe ich schon bekommen – sie trägt letztendlich das falsche Datum ein, was erst später auffallen wird. Ich packe meine Sachen und warte.
Ca. eine Stunde später erscheint die Zynikerin und überreicht mir den Entlassungsbrief mit den Worten: „Ich will Sie hier nie wieder sehen, Herr Manns. Wir sind eine Unfallchirurgie“. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das deuten soll, interpretiere das zu ihren Gunsten mal so, als dass sie mir eine unfalllose Zukunft wünscht.
Claudia holt mich am Nachmittag ab – diese Episode findet zunächst mal – ein Ende. Und es ist Wochenende.


Fazit, Uni-Klinikum Essen:

Dr. Kauther:
Hervorragend. Diagnose, OP, Gespräche – alles bestens.

Narkoseteam:
1a – völlig in Ordnung.

Dr. Husen:
Arbeitet da.

Team der UC3:
Wartezeit vor der Station, OP-Termin nicht eingehalten, Diabetes nicht kommuniziert, dreckige Hinterlassenschaften im Bad, Prothese im Müll, Medikation nicht verabreicht, ungesicherte Scherben, Arzt desinteressiert. Ich klage hier – bis auf den Assistenzarzt, der es einfach hätte besser wissen müssen – niemanden direkt an. Das System ist kaputt – und das ist die Verantwortung des Managements. Hier fehlen Planung, klare Vorgaben, Kontrollen, Prozesssteuerung – ein PDCA. Alle sind irgendwie bemüht – reagieren aber nur. Fühlte sich an wie ein Studentenwohnheim bei einer 24h Feueralarmübung.

Wer sich heute in ein Klinikum oder Hospital begibt, muss hellwach sein. Wer sich darauf verlässt, dass „…alles schon seine Richtigkeit hat“ wird in aller Wahrscheinlichkeit Schaden nehmen.


Besuch bei meiner Hausärztin – Tag 99

Es ist der Montag nach meiner Entlassung aus dem Uni Klinikum Essen.

Ich habe Schmerzen am Oberarm – dort, wo die scharfe Kante der Gipspritsche (mangels Polsterung) bei Bewegung in mein Fleisch schneidet. Selbst kann ich das schlecht korrigieren, also einen kurzfristigen Termin bei meiner Hausärztin erhalten.

Die guckt sich das Konstrukt an und schüttelt nur mit dem Kopf („…welcher Experte hat das denn verbrochen…“), vermerkt Details über das hier gesehene am PC. Gerne würde sie das korrekt anlegen (schliesslich hat sie jahrelang bei und mit einem Chirurgen gearbeitet), hat aber kein benötigtes Material. Sie macht sich schlau, wer das auf dem kurzen Dienstweg korrigieren könne und schlägt mir unbedacht den Arzt vor, der mich schon zu den Tagen 3, 4 und 7 verprellt hat. „Nö, dann lass ich mich morgen zur Orthhopädin nach Hattingen bringen – die können sowas sicher.“ Und ich bin wieder weg.


Besuch bei meinem Orthopäden in Hattingen – Tag 100

Ich melde mich am Morgen telefonisch in der Praxis, erkläre mein Dilemma und werde gebeten, mich sofort auf den Weg zu machen. Mein Schwiegervater holt mich wenig später ab und fährt mich. Danke, Herbert.

Dort angekommen, finde ich mich keine 5 Minuten später im Behandlungszimmer und werde von meiner Orthopädin begrüßt. Eine kurze Schilderung des Problems und die Betrachtung des Hilfswerks erzeugt erneutes Kopfschütteln und eine nette Mitarbeiterin des Teams entfernt die Verbandsmaterialreste und auch die (an zwei Stellen gebrochene) Schiene. Ich darf meinen Arm kurz waschen – eine Wohltat.

Ich werde ausgemessen, bekomme eine neue, superleichte Schiene, passgenau, gepolstert und fachmännisch (-fraulich?) verbunden. Geht also auch anders.

Danke, liebes Praxisteam – ganz großes Kino.


Uni Klinikum Essen – Tag 107

Fädenziehen. Heute. Einen Termin hatte ich ja schon vor meiner Abreise persönlich in der Unfallchirurgie gemacht – auf Geheiss von Dr. Kauther („…wir sehen uns dann zum Fädenziehen…“).

Erneut fährt mich Felix und lässt mich vor dem Klinikum aussteigen, da die Warteschlange vor dem Parkhaus sich schon bis zur Uferlandstraße in beide Richtungen zieht. Es ist 11:30 – also eine Punktlandung.

Ich werde zügig aufgerufen und befinde mich in einem der Untersuchungsräume. Eine Dame erscheint und stellt sich als Dr. Beck vor. O.K. Ich hatte einen Termin bei Dr. Kauther? „Der hat Urlaub.“ „Nun ja, ich hätte da schon noch einige Fragen an den operierenden Chirurg zur OP und dem generell zu erwartenden Heilungsverlauf.“ Man gestikuliert in Richtung Arm und möchte nun beginnen, die vor einer Woche perfekt angelegt Schiene zu entfernen. Ich beginne, mich an die Gipspritsche und den ganzen restlichen Besuch hier zu erinnern und treffe eine Entscheidung. „Nein, ich hatte einen Termin mit Dr. Kauther und habe kein Vertrauen mehr in die restlichen Angestellten hier. Fäden ziehen kann auch mein Orthopäde – den Weg hierhin hätte ich mir sparen können.“ Es reicht mir für heute – ich gehe. Das sollte mir (wie sich später herausstellte) auch einen Eintrag ins Klassenbuch verschaffen. Egal.


Besuch bei meinem Orthopäden in Hattingen – Tag 110

Bild von aixklusiv auf Pixabay

Fädenziehen Part Deux. Termin am Montag gemacht, drei Tage später vorort. Paul hat mich gefahren und ich sitze nun im Behandlungsraum.

Man befreit mich von meiner Schiene (ich darf erneut meinen Arm waschen – hurra!) und die Frau Doktor erscheint, um die Fäden vorsichtig zu entfernen. Das geht nicht schmerzfrei, 2 der Fäden hatten sich schon gut im Gewebe versteckt und wehrten sich nach Kräften. Man hat sichtlich Mitleid mit mir und entfernt alle Fäden erfolgreich.

Schiene wieder angelegt und neu verbunden – heute in Geschmacksrichtung rot. 20 Minuten später fährt Paul mich wieder nach Hause.


Uni Klinikum Essen – Tag 197

Es regnet. Der Herbst ist angekommen. Heute also noch einmal Termin bei Dr. Kauther im Uni Klinikum Essen.
Termin um 10:15, also kurz nach der Physiotherapie auf den Weg gemacht. Der übliche Stau auf der A40 und das übliche Chaos zum und am Parkhaus des Klinikums. Ich finde einen Parkplatz auf Deck 8 (von 15). Fahrstuhl bewegt sich nicht, also per Pedes nach unten. Man soll sich ja auch mehr bewegen. Ich bin schon um kurz vor 10:00 da.

Ich melde mich im OCII – also im Untergeschoss und der Unfallchirurgie. „Dr. Kauther ist heute nicht da.“ Erinnerungen werden wach an den letzten überflüssigen Besuch zum Fädenziehen. Wieder 45 km Fahrt und Stress ohne Ergebnis. Man will mir Mut machen: „Kann denn ein anderer Arzt, der bei Ihrer OP dabei war, sich das ansehen?“ Tja, ich bin nun mal hier – also gut. „Wir rufen dann (Frau) Dr. Beck.“

Wenige Minuten später werde ich aufgerufen und sitze im Untersuchungszimmer. Ein Dr. Meier (sp?) begrüßt mich kurz, entschuldigt sich, dass Dr. Kauther nicht da und Dr. Beck wohl auch irgendwie nicht verfügbar sei. Also erkläre ich meinen Leidensweg zum gefühlt 100sten mal, vermeide aber, meinen letzten Klinikaufenthalt im Detail zu schildern – schon weil jeder Gedanke daran meinen Puls klettern lässt. Eine kurze Untersuchung später meint der gute Doktor dann: „Das möchte ich röntgen lassen. Gegenüber der Unfallchirurgie ist die Radiologie, nehmen Sie dort dann Platz – wir sehen uns danach wieder.“ O.K. – es ist nun 10:15. Mir gegenüber sitzen zwei Rentner, „Kölscher Urgesteine“, FC-Fans selbstredend und wir kommen auch ins Gespräch. Sehr nett und teils auch sehr erheiternd.

Es ist jetzt 11:15. Ich sitze immer noch dort – nun alleine. Ich frage in der Radiologie nach, warum ich immer noch warte, „…da bin ich überfragt, ich mache nur die Röntgenbilder. Da müssen sie an der Anmeldung fragen.“ Also zu dieser Anmeldung. „Ja wenn sie sich nicht bei mir anmelden, dann wird man Sie auch nicht aufrufen.“ Klingt ja logisch, nur, warum wird mir gesagt, „…nehmen Sie dort dann Platz“ und nicht „Melden Sie sich bei der Anmeldung.“? Ich werde 1 Minute später aufgerufen und man knipst Bilder aus 3 unterschiedlichen Perspektiven.

Nun wieder zurück zur Anmeldung Unfallchirurgie (bin ja lernfähig). Noch nicht ganz am Fenster angekommen, tönt es zu meiner Linken: „Herr Manns?“ Eine Dame im grünen Strampler bitte mich in den Untersuchungsraum. Dr. Meier hat sich nun Unterstützung bei Oberarzt Dr. Mester gesucht. Man erinnere sich, mich bei einer Visite gesehen zu haben. Ich schildere mein Schmerzbild nochmals. Er untersucht Hand und Gelenk, stellt ein paar anscheinend typische Diagnosefragen und fragt mich, ob ich schon einmal etwas von CRPS gehört hätte. „Nö.“ Er erklärt etwas von Nerven, Schmerzen, Gedächtnis – böhmische Dörfer für mich.
„Das sei auch eher selten“, meint er dann. Kraft ist da (in der Hand) – aber meine Beschwerden sollten nicht von Sehnen oder Muskeln herrühren. „MRT?“, frage ich. „Nein, das ist so kurz nach der OP nicht indikativ, da man in dem Bereich nur wenig erkennen kann.“ „Was dann?“ „Naja, das Ganze nochmals aufmachen, nur um nachzusehen ist jetzt auch irgendwie nicht angenehm.“ Er würde vorschlagen, dass ich einen Termin bei Dr. Kauther machen und das mit dem besprechen sollte, der die OP durchgeführt hat oder zumindest dabei war. „Sie waren bei der OP doch dabei!“, erkläre ich dem etwas erstaunt bis ungläubig blickenden Oberarzt. „Ach so…, ja…., aber das sollte dann doch Dr. Kauther machen. Ich erspare mir jeden weiteren Kommentar.

Dr. Meier begleitet mich nochmals zur Aufnahme um sicherzustellen, dass meine nächste Reise ins Klinikum auch tatsächlichen einen Termin mir Dr. Kauther bedeutet. Die Dame an der Aufnahme rollt nur kurz mit den Augen und gibt mir einen neuen Termin – Montag, 30.10.2019 10:00. „Rufen Sie bitte vor Abfahrt kurz an um sicher zu gehen, dass der Dr. auch da ist.“ Weise Worte. 2 Stunden und € 4,50 später finde ich mich auf der A40 Richtung Herne wieder.

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2 Antworten

  1. Juliane sagt:

    Wenn ich das so lese, habe ich richtig Mitgefühl. Ich wünsche Dir dass Du sowas nie wieder erlebst!

  2. Volker Manns sagt:

    Hallo Juliane,
    dankeschön. Noch bin ich da nicht durch – habe ja noch die kleine Schiene für ein paar Wochen und danach Physio. Gut fühlt sich das noch nicht wirklich an und das Ergebnis kann ich erst nach der Physio beurteilen.
    Viele Grüße aus Herne,
    Volker

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